Samita ASBL

Von leeren Kirchen und Engeln in Menschengestalt—Drei Pilgerinnen auf Tudong durch Hunsrück & Eifel

Was bedeutet es, auf Tudong zu gehen?

Tudong ist die thailändische Art, das Paliwort dhutanga auszusprechen, das einige asketische Praktiken beschreibt, die der Buddha zu Trainingszwecken erlaubte. Aber lassen wir diese speziellen Asketenübungen beiseite; der Lebensstil der Mönche und Nonnen zur Zeit des Buddha unterschied sich sehr von dem, was wir heute in westlichen Ländern vorfinden. Damals wanderten sie—außer während der Vassa-Klausur—häufig über Land und wussten nicht, wo sie Essen und Übernachtung für diesen Tag finden würden, geschweige denn für den nächsten Tag! In westlichen Ländern ist dieser Lebensstil nicht auf Dauer praktikabel, erstens wegen des Klimas, und zweitens weil Mönche und Nonnen als Wanderasketen in einem nicht-buddhistischen Umfeld nicht die nötige Unterstützung finden würden. Es kann jedoch sehr inspirierend sein, diesen traditionellen mönchischen Lebensstil zeitweilig in angepasster Form zu üben, und dafür hat sich der Begriff „Tudong“ in Ländern wie Deutschland eingebürgert.

Praktisch bedeutet das, dass man umherwandert und sich für Almosenspeise und Übernachtung auf Spenden verlässt (die Gesetze in Deutschland gestatten nicht, außerhalb von Campingplätzen draußen in der Natur zu kampieren). Wir trugen Rucksäcke mit Schlafsäcken und Isomatten, mit den Almosenschalen der Nonnen und ein paar anderen Notwendigkeiten.

 

 

 

 

 

Für mich war dies die erste Unternehmung dieser Art im Leben, und alles war neu und überraschend. Aber meine beiden Gefährtinnen waren bereits erfahrene Tudongerinnen, beide auf ganz unterschiedliche Art.

Für Samaneri Viveka war dies der 6. Tudong in Deutschland. Sie war bis zu 6 Wochen am Stück gegangen, das letzte Mal vor 4 Jahren. Sie hatte mit ihren Tudong-Gruppen gewöhnlich viel Unterstützung gefunden und häufig in einem Raum der örtlichen Pfarrei übernachtet. Samaneri Kathrin war ein Jahr lang in Australien auf Tudong gewesen, wo sie neben der erfahrenen Unterstützung auch mit Flaschen und Steinen beworfen wurde. Was würde mich erwarten?

 

 

 

 

 

Es war unser Ziel, von St. Wendel im Saarland nach Belgien zu dem Ort zu gehen, wo das neue Kloster Tilorien entstehen soll, oder jedenfalls so nahe dorthin wie es uns in 2 Wochen möglich sein würde. Eine hilfsbereite St. Wendeler Freundin bot uns die erste Übernachtung an, somit war das unser Ausgangspunkt. Wir wanderten durch den hügeligen Hunsrück, überquerten die Mosel und setzten unseren Weg durch die Eifel fort. Beide gehören zu den deutschen Mittelgebirgen und haben, besonders in ihren höheren Lagen, eher raue Klima- und Lebensbedingungen. Viele Menschen ziehen deshalb aus den Dörfern fort. In den größeren Städten entlang der Flüsse ist das Klima milder, und es gibt mehr Arbeitsplätze. Je weiter man in der Eifel nach Westen zur luxemburgischen und belgischen Grenze kommt, umso mehr halbverlassene Dörfer findet man vor.

Als Folge davon fanden wir oft viel weniger Infrastruktur, als wir erwartet hatten. Besonders die kirchliche Infrastruktur verzeichnet einen bemerkenswerten Rückgang: In vielen Dörfern lebt kein Pfarrer mehr im Pfarrhaus, und der Zuständigkeitsbereich eines Pfarrers umfasst in manchen Fällen über 20 Dörfer! Und das ist noch nicht das Ende dieser Entwicklung.

 

 

 

 

 

Und dennoch fanden wir so viel Unterstützung auf unserem Weg! Das war für mich einer der überwältigendsten Aspekte dieser Unternehmung, dass wir so gut unterstützt wurden, und oft auf ganz unerwartete Weise. Wir mussten keine einzige Nacht im Freien verbringen und hatten an jedem einzelnen Tag zu essen. Manchmal bedankten sich Leute sogar dafür, dass wir gefragt hatten! Wenn du die Engel finden willst, die in einem Land leben, geh auf Tudong!

Auf der einen Seite gehen immer weniger Menschen in die Kirche. Aber heißt das, dass es keine Spiritualität gibt? Zumindest begegneten uns Qualitäten wie Großzügigkeit, Freundlichkeit, Vertrauen, religiöse Toleranz und Offenherzigkeit, was manchmal sehr ergreifend war. Da war dieser junge Bauer, der von seiner Zeit als Messdiener berichtete, die ihre Spuren an ihm hinterlassen hatte, auch wenn er jetzt nicht mehr die Zeit fand, in die Kirche zu gehen; und der alte Bauer, der begeistert war, „echte“ buddhistische Ordensleute zu treffen, die er sonst nur aus dem Fernsehen kannte. Sie beauftragten die Tante, uns Butterbrote zu schmieren, und gaben noch Obst und ein Päckchen Quark dazu.—Die Frau in der Bäckerei, eine Buddhistin diesmal, die, nachdem die Verkäuferin uns Brötchen eingepackt hatte, sich meldete: „Tun Sie bitte noch 3 Croissants auf meine Rechnung dazu!“—Der Chef eines Supermarktes, der uns innerhalb von drei Minuten das erstaunlichste Dana zusammenstellte, bestehend aus rein vegetarischen Lebensmitteln, das alles enthielt, was zu einer vollwertigen und gesunden Mahlzeit gehört.—Die Angestellte der Touristeninformation, die mit dem Bürgermeister telefonierte, um für uns eine Unterkunft zu finden, und uns dann alleine im Laden ließ, während sie den Schlüssel holen ging.—Die Inhaberin eines kleinen Dorfladens, deren Augen zu strahlen anfingen, als sie gefragt wurde, ob sie zu unserer Mahlzeit für den Tag etwas beisteuern möchte: „Ja, ich möchte!“ Und sie packte uns von allem etwas ein und fügte zuletzt noch ein Päckchen Gummibärchen hinzu—zu süß!—Die Frau, die uns in ein leeres Haus einlud, das sie für die Erben des verstorbenen Besitzers verwaltete; sie ging dann einkaufen und brachte uns nicht nur ein Frühstück für den nächsten Morgen, sondern mehr als genug zu essen für den ganzen Tag. Und während wir frühstückten, leistete sie uns Gesellschaft und sprach über ihre eigene spirituelle Praxis als Laienpraktizierende, die sich an Lehren des Karmeliterinnenordens orientierte.—Oder die Metzgersfamilie, die uns nicht einfach etwas aus ihrem Laden als Almosenspeise gab, sondern uns neben ihrem Haus zum Sitzen einlud und uns mit Kaffee, Brot, Butter, Wurstaufschnitt und selbstgemachter Marmelade bewirtete; und sie freuten sich sehr, als wir uns auf traditionelle Art mit einem Anumodana-Chanting bedankten. Ich könnte noch viele solcher Beispiele aufzählen…

 

 

 

 

 

Wo haben wir die Nächte zugebracht?—Wir hatten so unterschiedliche Unterkünfte wie ein Altersheim, das Schwesternheim der Franziskanerinnen, kirchliche Räumlichkeiten ebenso wie Räume der Stadt- oder Gemeindeverwaltung, die Umkleidekabine bei einem Fußballplatz (mit einer Tüte Chips für jede von uns zum Frühstück am nächsten Morgen!), eine Schule, eine Wohnung im Gebäude der Feuerwehr, das Haus eines verstorbenen Pfarrers und das leere Haus der Mutter eines Bürgermeisters; statt uns einen öffentlichen Raum anzubieten, schloss uns dieser Mann freundlicherweise diesen privaten Wohnraum auf. Manchmal dauerte es eine Weile, bis wir unseren Platz fanden, aber es gab immer eine Lösung!

Und woher kam unsere Almosenspeise?—Wir fanden großzügige Unterstützung bei Bäckern, Supermärkten, Metzgern, auch in Restaurants, manchmal in Altersheimen und von Privatleuten. Die Menschen kannten die buddhistische Kultur des Almosenganges nicht, aber manche interessierten sich sehr für unsere Praxis und für die Lebensweise von Nonnen. Und manche unterstützten uns, weil sie Respekt für unsere Pilgerwanderung hatten, oder ganz einfach für die Tatsache, dass wir um Lebensmittel und nicht um Geld baten.

 

 

 

 

 

 

Durch die Natur zu wandern war für mich sehr anregend, besonders früh am Morgen—auch wenn es manchmal nicht wärmer als 2° C war; ich liebte das besondere Licht und die Atmosphäre dieser Tageszeit sehr. Und die hügelige, aber weite und offene Landschaft, in der sich nicht viel regte, bot den besten Rahmen für einen kontemplativen und achtsamen Geist. Auch wenn mein Körper, der eine solche Anstrengung nicht gewohnt war, sich gelegentlich beklagte, es war einfach gut, einen Schritt nach dem anderen zu gehen und genau hier in diesem Moment zu sein.

Die ersten Etappen unserer Wanderung waren für mich auch eine Wanderung durch meine Familiengeschichte. Urgroßeltern sowohl von mütterlicher als auch von väterlicher Seite waren in der Gegend um St. Wendel und um Primstal aufgewachsen. Die Erinnerung an das harte Leben, das sie hatten, ließ mich viel Wertschätzung für das Gute empfinden, das sie in die Familie gebracht und an die folgenden Generationen weitergegeben hatten. Zusätzlich war das väterliche Familienerbe durch meinen bürgerlichen Namen „Backes“, der in dieser Gegend sehr häufig ist, ständig präsent. Der Name stammt aus Theley, in dessen Nähe wir vorbeikamen. Er ist in dieser ganzen Gegend so stark vertreten, dass jedes zweite Geschäft, ob Bäckerei, Elektrogeschäft, Bauunternehmung oder was auch immer, Backes zu heißen scheint; und die meisten sind nicht miteinander verwandt.

Ja, körperlich gesehen war dieses Abenteuer eine große Herausforderung! Der Rucksack war schwer, mein Körper war schwach, meine Füße geschwollen. So erschöpft ich auch war, fiel es mir doch schwer, nachts Schlaf zu finden. Von vier großen Blasen, die wir an unseren Füßen hatten, befanden sich drei an meinen, eine davon hatte „DIN-A4-Format“, wie jemand es nannte…  Ich musste eben langsam gehen. Auch haben wir Länge und Schwierigkeitsgrad unserer Etappen an unseren Zustand angepasst. So haben wir irgendwann unseren Ehrgeiz, den Bauplatz für Tilorien zu erreichen, aufgegeben, oder auch nur den Ort des provisorischen Klosters (was bereits eine bis zwei Tageswanderungen weniger gewesen wäre)—das ist ohnehin nicht der Sinn und Zweck eines Tudong: etwas zu erreichen. Und an unserem letzten Tag schafften wir es gerade über die belgische Grenze und bis zum ersten Ort, Bug-Reuland!

 

 

 

 

 

Natürlich hat es auch manchmal geregnet. Für diesen Fall hatten wir Regencapes dabei, von denen zwei vom gleichen Modell waren, leider nicht ganz wasserdicht. Aber dank unserer Engel fanden wir jedesmal, wenn wir richtig nass geworden waren, eine Unterkunft mit einer ordentlichen Heizung, so dass wir unsere Kleider trocknen und uns wieder aufwärmen konnten; und meistens gab es dann auch einen Wasserkocher, so dass wir uns etwas Warmes zu trinken machen konnten. Nichts ist im Leben selbstverständlich, nicht einmal ein Heißgetränk! Aber jedesmal, wenn wir wirklich eins brauchten, bekamen wir eines.

Wie hielten wir es mit Geld auf diesem Tudong? Im Prinzip benutzten wir keines, aber ich—die Anagarika—hatte für Notfälle welches dabei. Und es gab auch drei Gelegenheiten, wo wir davon Gebrauch machten: Zum ersten Mal geschah das, als wir in Oberemmel ankamen, was mit etwa 20 km unsere längste Tagesetappe war. Man hatte uns gesagt, dass hier ein Pfarrer wohne, aber an diesem Tag trafen wir ihn nicht an. Zwei Kirchen, zwei Pfarrhäuser, und alle leer. Es war schon spät, das Rathaus und andere Verwaltungseinrichtungen waren geschlossen. Wo sollten wir hingehen? Um zum nächsten Dorf zu wandern, waren wir zu erschöpft, und es war auch nicht sicher, ob die Lage dort anders gewesen wäre. Die einzige noch verfügbare Option war der letzte Bus des Tages nach Konz, der nächstgrößeren Stadt, wo wir auch tatsächlich für die Nacht unterkamen. Das war die erste Gelegenheit, bei der ich von unserem Notfallgeld Gebrauch machte. Zum zweiten Mal benutzten wir es, um uns mit einem guten Sortiment Blasenpflaster auszurüsten! Und das dritte Mal war es für eine sehr spezielle Art von Notfall: Nachdem wir die Nachricht erhalten hatten, dass die Großmutter einer der Nonnen am Tag zuvor verstorben war, kauften wir einige Blumen und Kerzen und gingen in die nächste Kirche, in Rittersdorf, richteten in einer Ecke unseren kleinen Schrein her—mit einem gedruckten Buddha-Bild, das wir dabei hatten—und chanteten zu ihrem Gedächtnis.

Dies ist mein Versuch, meine Erfahrungen auf einem Tudong in Worte zu fassen, ein Unterfangen, das von vorneherein vergeblich sein muss. Das Abenteuer war in so vielerlei Hinsicht überwältigend, dass es schwer auszudrücken ist. Ich habe versucht, hier ein paar Eindrücke wiederzugeben, aber das kann natürlich kein vollständiger Bericht sein. Trotzdem: Ich hoffe, es war interessant zu lesen!

Die Etappen unserer Wanderung:
02. Mai   03. Mai   04. Mai   05. Mai   06. Mai   07. Mai   08. Mai   09. Mai   10. Mai   11. Mai   12. Mai   13. Mai   14. Mai

Anagarika Sabbamitta

4 Kommentare

  1. Backes Brigitte

    Liebe Maria deine Erfahrungen und Gedanken bei der Wanderung waren sehr beeindruckend und haben mich irgendwie auch berüht. Deine Aussagen über unsere gemeinsamen Wurzeln ebenso.Wünsche dir alles Liebe und Gute.

  2. Ursulan Weiland

    Liebe Sabamita,
    ich danke euch für euren Tudong und freue mich mit euch, euren intensiven Erfahrungen mit euren Körpern, eurem Geist und den Menschen, denen ihr begegnet seid.
    Ich danke euch für euren Weg- für euch und uns daheimgebliebenen, weiter im Rad strampelnden…
    Viele Grüße
    Ursula

  3. Paul Burton

    A very enjoyable read. Thank you for sharing,

  4. Kirsten

    Liebe Sabbamitta,
    danke dir für den schönen Bericht. Er hat mich sehr berührt. Wie schön.
    Liebe Grüße, Kirsten

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